Schlaf, die verborgene Hälfte unseres Lebens


Auf die Idee, diesen Artikel zu schreiben, bin ich gekommen, nachdem ich vor einiger Zeit vorübergehend Opfer von Schlaflosigkeit geworden bin. Nicht ohne Grund. Ich hatte mich verliebt und konnte deshalb nicht mehr schlafen. Chinesisch übersetzt: Mein Herzgeist Shen war durch etwas und jemanden unruhig geworden, wanderte hinauf in den Himmel (Kopf und Hirn) und brachte dort alles durcheinander. Mittlerweile habe ich es vorgezogen, mich zu entlieben, da mir mein guter Schlaf sehr wichtig ist. Wie ich das geschafft habe, wird sich manch geneigte LeserIn fragen? Indem ich mich selbst davon überzeugt habe, dass ich einzigartig und phantastisch bin, entsprechend dem Song „I am what I am“. Anima und Animus: Ich selbst bin der ideale Partner für mich. Ich freue mich nun meines Lebens, bis ich in diesem Universum auf denjenigen treffe, der genauso vollkommen ist wie ich. Damit bin ich gedanklich und emotional wieder frei. Und Sex? – Tja, das ist eine andere Geschichte. Ich sag mal so: Das Verlieben kann bis zum nächsten Mal warten. Dank der großen Bedeutung eines gesunden Schlafes (siehe Dornröschen) muss der Ritter vollkommen sein, damit er die hohe Burgmauer überwinden und den Drachen besiegen kann. – Oh, das ist jetzt aber eine schöne Verbindung zwischen Märchen und Wirklichkeit.  

Ich spreche hier so offen über mich, weil simple emotionale Gründe, wie banales Verliebtsein, die praktischen Gründe dafür sind, wenn man nicht ein- und durchschlafen kann. Das vergebliche Eintauchen in die verborgene Hälfte unseres Lebens führt viele Patienten in meine Praxis. Bei manchen handelt es sich um ein kurzfristiges Problem, andere dagegen finden seit Jahren keinen Schlaf mehr. Seien wir ehrlich: Auf den ersten Blick weiß keiner so recht, warum wir schlafen müssen, geschweige denn, was im Schlaf wirklich mit uns passiert. Es wird vermutet und geforscht. Die Lehre vom Schlaf wird als „Somnologie“ bezeichnet. Als Wissenschaft, die es erst seit den 50-er Jahren gibt, ist sie relativ jung. Damals ist die sog. REM-Phase (Schnelle Augenbewegungen während des Schlafes) entdeckt worden. Diese beschäftigt sich mit dem Verhalten während des Schlafes und seinen körperlichen und geistigen Prozessen. Es gibt eine Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, Messergebnisse von Gehirnströmungen. Doch möchte ich jetzt nicht näher auf den Stand der Wissenschaft eingehen. Das können die Somnologie-Experten der DGSM besser als ich. Ich präsentiere hier nur meine bescheidenen Gedanken aus Sicht der Chinesischen Medizin. Allerdings kombiniert infolge persönlicher Betroffenheit sowie Praxis und Erfahrungen aus Zungen- und Pulsdiagnose sowie Akupunktur und Kräutermedizin.

Zunächst aber einige allgemeine Überlegungen zum Thema „Schlaf“. Er nimmt einen großen, verborgenen Teil unseres Lebens ein, er ist wichtig für unsere geistige und körperliche Gesundheit. Doch haben wir eigentlich keine Ahnung, was im Schlaf wirklich mit uns passiert – abgesehen davon, dass sich während der REM-Phase die Augen schnell bewegen und sich die Gehirnwellen während des Einschlafens, des Traum- und Tiefschlafes verändern und mehrfach abwechseln. Warum werden wir müde und wollen schlafen? Das hängt vom Tag-Nacht-Rhythmus, dem sog. Zirkadianen Rhythmus ab. Es ist das innere Uhrwerk, das die Körperfunktionen während des Tages und der Nacht reguliert. So weiß man, dass am Abend die Körpertemperatur und der Blutdruck sinken. Das Hirn schüttet das Hormon Melatonin aus, das uns müde macht. Wie viel vom Melatonin produziert wird, hängt allerdings davon ab, wie viel Licht auf die Augen fällt. Deshalb kann künstliches und Bildschirmlicht den zirkadianen Rhythmus durcheinanderbringen und die Melatonin-Produktion einschränken. Die Menschen gehen immer später ins Bett. Damit beginnt ein zirkadianes Durcheinander, das zu Schlaflosigkeit führt. Kennen Sie den Begriff der „Schlaf-Homöostase“? Das ist das Bedürfnis nach Schlaf, das um so größer wird, je länger wir nicht geschlafen haben. Geregelt wird das durch „Adenosin“, einem Botenstoff, der sich im Körper immer mehr ansammelt, je länger man wach ist. Unsere Rezeptoren können von Koffein blockiert werden. Und vermutlich ist das der Grund, warum Cola und Kaffee uns wachhalten. 

Nun erst einmal von vorne begonnen, wenn der Schlaf am Abend über uns kommt. Die meisten von uns werden zwischen halbzehn und elf müde und der Körper schwer. Wir gehen ins Bett, entspannen uns, atmen tiefer und langsamer. Vielleicht kreist noch der eine oder andere Gedanke über unserem Haupte oder wir bemerken noch Außengeräusche, die sich aber immer weiter von uns entfernen. Jetzt wechselt das Hirn in den „Alpha-Zustand“, in dem das EEG etwa zehn sog. „Alpha-Wellen“ in der Sekunde anzeigt. Kurze Zeit später verändert sich das Muster. Die Wellen werden noch flacher und langsamer. Es geht ab in die erste Schlafphase, den Halbschlaf, in dem die Muskeln schlaff und die Atmung flacher werden und der Puls sinkt. Vielleicht zucken ein paar Muskeln oder wir schrecken hoch. Geräusche hören wir nicht mehr. Der Vorhang des Bewusstseins ist geschlossen. Nun befinden wir uns in einer relativ heiklen Phase, denn in dieser können wir leicht geweckt werden. Von der Uhrzeit her dürfte es zwischen 24 und 1 Uhr sein. Die chinesische Organuhr ordnet hier die Hochzeit der Gallenblase und die Krisenzeit des Herzens zu. Es ist eine Zeit der Entscheidung, wenn nämlich ein Tag in den anderen übergeht. Wer um diese Zeit aufwacht, könnte längere Zeit wieder putzmunter im Bett liegen und ein Gedankenkarussell starten, könnte sich mit bevorstehenden oder eingebildeten Entscheidungen herumquälen; denn „Gallenblase“ steht im Chinesischen für Entscheidung und den Impuls, diese zu realisieren. Ein Sprichwort weiß: „Wer mutige Entscheidungen fällen will, braucht eine große Gallenblase!“ Damit die Gallenblase nicht geschwächt ist, braucht es den ersten Tiefschlaf vor Mitternacht. Und nein, das ist kein Mythos, vielleicht im Westen, doch nicht im Alten China! 

Wer um Mitternacht also nicht aufwacht und weiterschläft, taucht ein in die nächste Schlafphase 2 mit den sog. Thetawellen. Es geht in einen leichten Schlaf, in dem kurz und rational geträumt wird. Wer hier aufwacht, weiß, dass er geschlafen und geträumt hat. Es folgt der Tiefschlaf. Geräusche können uns kaum wecken. Atmung und Herz sind regelmäßig und langsam, die Muskeln entspannt. Durch das Gehirn rollen die großen, langsamen Delta-Wellen und schenken uns den sog. „Slow Wave Sleep“. Wir befinden uns in einer Welt jenseits des Bewusstseins, über die wir im Grunde nichts wissen. Doch gibt es Leute, die hier aktiv sind, nämlich die Schlafwandler. Interessanterweise wird diese Zeit zwischen 1 bis 3 Uhr der Leber zugeordnet, in der „Hun“, die Wanderseele wohnt. Wenn „Hun“ in seiner Behausung gestört wird, wandert er herum – ganz wie ein Schlafwandler. Genau diese Phase ist für unseren Körper am wichtigsten, denn genau hier kann er sich regenerieren. Leider wachen hier sehr viele Durchschlafgestörte auf! Ihr „Hun“ ist unzufrieden und unruhig. Dabei ist diese Phase für die körperliche Gesundheit am wichtigsten. Was hier nicht verschlafen wird, kann in der Güte und Klasse nicht mehr wett gemacht werden. Genau hier werden Wachstumshormone ausgeschüttet, die Zellen reparieren und teilen sich, sowohl am Erbgut als auch im Gewebe. Zu diesem Zeitpunkt ist der Pegel des Stresshormons Adrenalin quasi am Nullpunkt, wofür sich das Blut herzlich bedankt. Es kann sich nun energetisieren, was bedeutet, dass sich die roten Blutkörperchen tatsächlich elektrisch mit negativen Ionen aufladen können. Adrenalin und Stress haben leider die ungesunde Wirkung, dass sie die Blutkörperchen entladen. Das begünstigt eine Verklumpung des Blutes und Blut-Stagnation, was wiederum pathologische Effekte nach sich zieht. Siehe Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Zum Verständnis, warum die elektrische Ladung von roten Blutkörperchen wichtig ist: Wenn sie alle negativ geladen sind, stoßen sie sich gegenseitig ab, was gesund ist, da es dadurch zu keinen Verklumpungen kommen kann. Weiterhin kann die rote Pulpa der Milz, in der bei der Aussortierung der roten Blutkörperchen und deren Recycling elektrisch gearbeitet wird, beschädigte und veraltete Erythrozyten gut aussortieren und eliminieren. Das wussten bereits die „alten“ Chinesen, denn bereits vor 1000 Jahren hieß es, dass die Nacht die Zeit des Blutes ist und es sich in dieser Zeit erneuert. Wenn sich in der Nacht gesundheitliche Probleme zeigen, weisen diese darauf hin, dass in der Blut-Ebene die Wurzel dafür liegt.

Wunden verheilen womöglich schlechter bei Schlafentzug. Wenn man krank ist, hat man meist ein erhöhtes Schlafbedürfnis. Das liegt eventuell an diversen Entzündungsfaktoren, die schläfrig machen und so dazu führen, sich zu schonen, zu schlafen und damit das Immunsystem zu stärken. 

Kinder und Jugendliche haben während des Tiefschlafs den größten Wachstumsschub. Viele Kinder schreien und weinen aus Angst zwischen 1 und 3 Uhr, obwohl sie Muskeln bewegen, ist ihr Bewusstsein komplett abgeschaltet. Im EEG findet man auch keinen Hinweis auf Albträume oder darauf, dass sie wach sind. Im Schlaf bildet sich das Gehirn aus, was womöglich der Grund dafür ist, dass Neugeborene und Kinder viel schlafen.

In der sog. REM-Phase, wenn sich unsere Augen ruckweise bewegen, wird geträumt. Die Muskeln sind aber völlig gelähmt, wir können uns nicht bewegen. Dafür ist das Hirn umso lebendiger. Die DeltaWellen gehen und die schnellen Durchschlaf-Wellen folgen mit kurzzeitigen AlphaWellen, die eigentlich den Wachzustand anzeigen. Doch sind wir nicht wach, sondern wir sind in der Traumwelt. 

Es gibt eine Empfehlung von US-Schlafexperten zur Schlafdauer entsprechend dem Alter. 18 bis 64-Jährige sollten 7 bis 9 Stunden schlafen und über 65-Jährige 7 bis 8 Stunden. Kommen Sie auf diese Stundenzahl? Dann müssten Sie ausgeschlafen sein. Doch schläft in Deutschland die Hälfte der Leute nur sechs Stunden und weniger. Das ist schade, denn wer gut und lange schläft, ist auch gesünder und zufriedener. Wer dauerhaft unter Schlafmangel leidet, hat ein höheres Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Mellitus, Adipositas, Angststörungen, Depressionen und Krebserkrankungen.

Den Schlaf als etwas Heiliges im Leben zu erachten, ihm den nötigen Respekt und Raum zu geben bzw. zu verschaffen, muss eine unumstößliche Lebensregel und eine selbstverständliche Gewohnheit werde und sein. Der Schlaf ist mit der wichtigste Grundpfeiler für geistige und körperliche Gesundheit. Abgesehen von therapeutischen und medikamentösen Hilfen müssen eventuell Korrekturen der bisherigen Lebensgewohnheiten vorgenommen werden. 

  • Am Abend nüchtern zu Bett gehen, d. h. nach 18 Uhr nichts mehr zu sich nehmen, eventuell noch eine geringe Menge an warmem Wasser
  • Am Abend zur gleichen Uhrzeit zu Bett gehen, spätestens 23 Uhr
  • Am Morgen zur gleichen Uhrzeit aufstehen
  • Das Schlafzimmer dunkel, ruhig und kühl halten
  • Bequeme Matratze und Kissen

Anmerkung zu 1.

Die Empfehlung, möglichst nüchtern ins Bett zu gehen, wird im Westen leider nicht ernst genommen, wird belächelt oder darüber gejammert, dass es aus diesem oder jenem Grund nicht möglich sei. „Okay,“ sag ich da, „deine Wahl!“ Doch wieso empfehle ich diese Nüchternheit in der Nacht. Wenn der Magen und das aktive Verdauungssystem nicht aktiv sein müssen, kann sich der Körper umso besser um seine Gesundheit und Regeneration kümmern. Wichtigstes Werkzeug ist die „Apoptose“, bei der die Zellen selbst erkennen, wenn sie nicht mehr richtig funktionieren. Gesunderweise begehen sie kontrollierten Selbstmord. Wenn der Prozess nicht reibungslos funktioniert, entstehen aus den beschädigten Zellen so was wie „Zombiezellen“, die dann in der Folge für pathologische Prozesse, so was wie Krebs, verantwortlich sind. So sind bei Krebszellen oft genau jene Gene beschädigt, die die Apoptose auslösen. Dadurch erhöht sich die Gefahr, dass aus Krebsvorstufen ein bösartiger Tumor wird. Eine nächtliche Nüchternheit begünstigt einen tieferen und besseren Schlaf während der Zeit der Zellregeneration. Studien haben belegt, dass Melatonin (siehe oben) dabei wichtig ist, die Zombiezellen in einen gesunden Zustand zu versetzen. Melatonin ist eigentlich gar kein Schlafhormon, wie man es in der Literatur immer wieder tituliert findet. 

So, und nun noch einiges zum Schlaf im Zusammenhang mit Chinesischer Medizin. Wie ich bereits oben erwähnt habe, spiegeln sich Beschwerden, die sich nachts offenbaren, die Blut-Ebene wider. Deshalb interessiere ich mich bei der Anamnese für nächtliches Schwitzen, Aufwachen, Urinieren, Schmerzen, Temperaturschwankungen u. a. An der Zunge lassen sich Schlafstörungen vor allem an der Spitze anhand von Röte und roten Stippe erkennen. Vielleicht sind auch noch die Zungenränder rot und angespannt. Dann weiß ich, dass nicht nur eine Herz-Hitze da ist, sondern auch noch eine Leber-Qi-Stagnation den armen „Hun“ aus seiner Behausung treibt. Andererseits kann es aber sein, dass Blut-Mangel im Herzen, in der Leber oder im Allgemeinen, die sich ebenfalls auf der Zunge durch eine Blässe und/oder Trockenheit sichtbar macht, nicht in den Schlaf finden lässt, da halt zu wenig Blut (Nacht!) allgemein oder in den Organen vorhanden ist. Auch ein Mangel an Yin kann den Schlaf stören. So wissen wir ja, dass Yin der Nacht und Dunkel zugeordnet ist. Auch eine Blut-Stase bzw. -Stagnation kann Schlafstörungen verursachen. Diese kann ich an einer dunklen Zungenfarbe und gestauten Unterzungenvenen erkennen. Doch auch der Puls erzählt von Schlafstörungen. Wenn er zum Beispiel schnell und oberflächlich ist. Da weiß ich, dass das Yang weit oben ist und/oder vom Yin nicht entsprechend kontrolliert werden kann. Das Yang reißt sich gewissermaßen los und steigt nach oben. Mit ihm kann auch Hitze und Feuer nach oben in den Kopf und an die Oberfläche steigen, was sich u. a. als Gedankenkreisen und nächtliches Schwitzen bemerkbar macht. Ja, so einfach ist es, an Zunge und Puls Schlaflosigkeit zu erkennen. Leider nicht so einfach ist es, den entwurzelten Shen und umherwandernden Geist einzufangen und wieder in ihre Behausungen zu bringen. Je nach Dauer der Schlaflosigkeit erfordert dies von den Patienten und von mir Geduld. Manchmal reichen – oh Wunder – ein paar Akupunkturnadeln und -Sitzungen und der Schlaf ist gebessert. Doch meistens wird der Schlaf erst langsam, langsam besser. Schlaflose Einbrüche gibt es immer wieder. Auch damit muss man rechnen. 

Zur Akupunktur und den chinesischen Rezepturen, um die Schlaflosigkeit zu besiegen, empfehle ich jedoch ganz banale Mittel. Sie sind durchaus umstritten. Doch bin ich persönlich der Überzeugung, dass ein entspannter, tiefer und damit gesunder Schlaf wichtiger ist, oder? Deshalb empfehle ich meinen Patienten unterstützend pflanzliche Therapeutika, die in den Apotheken frei erhältlich sind. Das Personal in den Apos ist meist bestens informiert über ihre angebotenen Produkte. Ansonsten kann man auch „Dr. Google“ befragen und Verbraucherinfos und Bewertungen zu Rate ziehen. 

Auch ich nehme, wenn es mit dem Schlaf mal hapert (von wegen Verliebtsein!), gerne etwas Baldrian, Hopfen, Passionsblume usw., schließlich möchte ich die verborgene Seite meines Lebens dafür nutzen, um etwas für meine geistige und körperliche Fitness, Gesundheit und Zeitlosigkeit zu tun.