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Wissenswerte und abenteuerliche Reflexionen über meinen „Ausländeralltag“ in China


Thema „Hightech-Nation“! – China, meint man, ist die Hightech-Nation, wenn man die Masse von Menschen mit ihren Mobiltelefonen vor der Nase sieht. Von 100 Chinesen gucken 100 auf das Display. Münchner und Berliner Metro-Nutzer sind dazu im Vergleich mobilfaul. Mancher Patient, der mit Nadeln gespickt mit dem Gesicht nach unten auf der Liege lag, werkelte in dieser Position mit zwei Handys herum. In den Behandlungsräumen klingelt’s, rattert’s, scheppert’s und plärrt es wie auf dem Rummelplatz. Allerdings auf dem täglichen Weg zu und von den Kliniken und Krankenhäusern, in denen ich war, habe ich das arme Gesicht von Hangzhou gesehen. Direkt an und neben der Straße, in kleinen Lädchen und Hüttchen, leben, schlafen, handeln und telefonieren die Leute, verkaufen Hühnerkrallen und gepökelte Entenschnäbel und hängen direkt an der Straße, auf Zäunen, Straßenschildern und in Bäumen ihre Wäsche, Hemden, Bettbezüge, Baby- und Kinderkleidung und Unterwäsche zum Trocknen auf. Der Platz in der Großstadt ist rar, und in Südchina gibt es keine Wäschetrockner.

 

 

Thema „Datenschutz und Privatsphäre“? – Nicht in China! Egal wo. Ob Klinik oder großes Krankenhaus. Es geht dort zu wie im Hühnerstall. Da gackern alle mit. Was heißt, auch die wartenden Patienten. Geduld ist nicht die Stärke der Chinesen, und zum Lesen, wie bei uns in den Praxen, gibt es auch nichts in den überfüllten Wartehallen. Deshalb machen sich die Wartenden auf den Weg, spazieren herum und kommen einfach bei den Sprech- und Behandlungszimmern vorbei. Sie stellen sich um den Patienten, der gerade an der Reihe ist, und den Arzt herum und diskutieren bei der Anamnese mit. Ich hielt Leute am anfangs für Familienangehörige, doch kannten sie sich gar nicht. Bei der Behandlung das Gleiche. Der eine schaut der anderen beim Ausziehen zu und lacht sie aus, weil sie beim Akupunktieren einige Schmerzlaute von sich gibt.

 

 

Thema „Überwachung“! – Von den Kameras an jedem Straßenschild, an jeder Ampel, an jedem Gebäude in zwei- und dreifacher Ausfertigung werde ich jetzt nicht sprechen. Nur so viel: Ich habe mich an die Totalüberwachung ganz schnell gewöhnt und auch an die ständigen, sich wiederholenden Körper-, Taschen- und Wasserflaschenkontrollen an allen Metro-Ein- und Ausgängen.

Doch nun zu einer persönlichen Überwachungskleinigkeit, die mir bei der Zimmervergabe auffiel. War es Zufall, dass mein Zimmer in der neunten Etage, Nummer 917, auch an deutsche Vorgängerinnen vermietet wurde? Auch das Zimmer 1122 im elften Stock, in dem zwei Kolleginnen wohnten? Im Jahr vorher waren sie genau in demselben Zimmer einquartiert worden. Dass sich die Leute an der Rezeption an meine Kolleginnen erinnert hatten, ist eher unwahrscheinlich. Denn die Rezeptionisten waren unpersönlich und sprachen weder Englisch, geschweige denn Deutsch. Wenn ich in mein Zimmer kam, hatte ich jedes Mal das Gefühl, beobachtet zu werden. Es saß im Nacken und im Bauch. Der Verstand versuchte zwar, es beiseite zu schieben und als Einbildung abzutun, doch war es ständig da. Als Deutsche, die relativ frei und staatlich unbeobachtet aufgewachsen ist, konnte ich mir kopfmäßig nicht vorstellen, unter kompletter Beobachtung zu sein. Ich sprach meine Kolleginnen darauf an. Und die stimmten mir sofort zu, dass auch sie dieses Gefühl hätten. Selbst die Zimmervorgängerin, die in ein B&B umgezogen war, und die ich in der Klinik traf, bestätigte es. Seit sie in dem B&B war, wäre dieses Gefühl weggewesen. Nun, wie sagt man immer so schön in Deutschland: „Ich hab ja nix zu verbergen!“ Hatte ich auch nicht, doch vermied ich es, hüllenlos im Zimmer herumzulaufen. Am liebsten hätte ich mich mit dem Badetuch unter die Dusche gestellt. Was das Verstecken meines Geldes und meiner wichtigen Dokumente und Kreditkarte anbelangte, konnte ich das genauso gut bleiben lassen. Die Chinesen wussten ja eh, wo ich alles hatte. Die guckten mir ja eh bei allem zu. Ich fühlte mich wie ein Eichhörnchen, das man im Herbst heimlich beobachtet, wie es seine Nüsse vergräbt und dabei wie verrückt herumspringt und mal hier und dort buddelt und die Nüsschen verscharrt.

Ich war 2019 in Hangzhou, gerade in der Zeit, als es um den Kampf mit Hongkong ging. Was da passierte, war in Hangzhou allerdings überhaupt kein Thema, denn es wurde in den Medien einfach nicht darüber berichtet. Sich politisch zu informieren, geht in China nur einseitig, so wie die Regierung das will. Die Leute haben keine Quelle, aus der sie sich objektiv informieren könnten. Natürlich gibt es in China das Internet. Doch ist dieses so gestaltet, dass es auf die Masse beruhigend und entspannend (das ist ironisch gemeint) wirkt und für die Machthaber ungefährlich ist.

Ich sah die Menschen, ihren Blick hypnotisiert auf ihr Handydisplay gerichtet. Auf der Straße, in der Metro, vor den Geschäften, in den Restaurants, am Westlake, im Krankenhaus, auf den Toiletten, überall laufen alle Menschen, aber wirklich ALLE Menschen mit dem Display vor der Nase herum. Sie sehen nicht, wo sie hingehen. Folgen dem Strom, lassen sich von ihm mitziehen wie Wassertropfen in einem Fluss. Das ist Qi-Bewegung durch mobiles Feng Shui. Hin und wieder warf ich in der Metro einen Blick auf die Displays, um zu sehen, was sich die Leute angucken. Die Inhalte sind banal, Kindereien, und doch sind sie absolut wirkungsvolle Energie-Räuber und Lenker. Chinas Opiumkrise vor 100 Jahren erinnert mich stark an den jetzigen Zustand der Chinesen. Die Unterschiede waren, dass die Leute nicht überall stoned herumlagen, sondern heute marschieren sie starrend über alles hinweg, nicht nach links oder rechts blickend. Da gibt es keine menschlichen Regungen mehr gegenüber dem, an dem man gerade vorbeigeht oder neben dem man steht. Jeder lebt in einer kleinen Displaywelt. Der zweite Unterschied zum Opiumkrieg von damals ist, dass der Feind England war, der die Chinesen mit Opium vergiftete, um damit China einzukassieren. Heutzutage macht es die Regierung mit ihren eigenen Leuten. Wobei dies nicht nur Nachteile hat. Die Bildschirmsteuerung macht die Menschen friedlich; denn sie haben, was sie wollen: Unterhaltung auf Schritt und Tritt. Es ist geistiges, billiges Futter, was da vorgeworfen wird. Jeder in dieser virtuellen Welt kann davon gut leben. Eigentlich ist es perfekt, oder? Die Leute, die diese Welt erschaffen, sind reich und mächtig. Sie werden gut bezahlt und können die Energie von zig Millionen Menschen genau dahin lenken, wo sie gebraucht wird.

 

 

Thema „Taxifahren“ – Als Ausländer mit großer Nase ist man für Chinesen gut zu erkennen, und deshalb ist es beinahe ein Unding, ein Taxi zu bekommen. An einem Sonntagnachmittag hatte ich frei und lief zum berühmten Westlake. Als es dunkel wurde, wollte ich ein Taxi anhalten, um damit zum Hotel zurückzufahren. Doch alle Taxis fuhren an mir vorbei. Ich sprang ihnen förmlich auf die Kühlerhaube. Keine Gnade. Wenn einer anhalten musste, um mich nicht zu überrollen, machte er sein Fenster ein Stück auf, damit er mich täuschte, er würde mich mitnehmen und ich so auf die Beifahrerseite eilte. Sobald ich aus der Spur war, gab er Gas und fuhr davon. Ich versuchte es eine gefühlte Stunde. Dann fuhr ein Taxi ran – doch nicht wegen mir -, aus dem Gäste ausstiegen. Ich hechtete zur geöffneten Beifahrertüre und schob mich mit einer Visitenkarte meines Hotels in die Fahrerkabine. Der Fahrer konnte nicht mehr aus. Ich schob ihm die Karte unter die Nase, die er widerwillig las. Genauso widerwillig winkte er mich auf den Beifahrersitz. Eine Taxifahrt kostet ca. 1,5 Euro, inklusive drei Kilometer Fahrt. Ich war so froh, als das Taxi dann in Richtung Hotel fuhr. Der Fahrer ließ mich davor raus. Noch immer zeigte das Taxometer 11 Yuan an. Ich reichte dem Fahrer 20 Yuan und bedankte mich „XieXie“, ohne das Wechselgeld des verdutzten Fahrers abzuwarten.

 

 

Thema „Kommunikation“ – In der 9-Millionen-Stadt Hangzhou spricht kaum ein Chinese Englisch, geschweige denn eine andere europäische Sprache. Die Kommunikation läuft ausschließlich über Übersetzer-Apps. Wenn diese jedoch wegen der ständigen Internetsperren nicht funktioniert, dann hilft nur die steinzeitliche Sprache, nämlich die der Hände, Füße und Grimassen. Einen Chinesen finden, der ein halbwegs gutes Englisch spricht, ist wie ein 6er im Lotto. Und selbst dann ist es problematisch. So kam es in den Kliniken natürlich immer wieder zu Verwechslungen. Einmal erklärte mir der Arzt bei einer Patientin, sie hätte Verstopfung, weil sie „Bee-Powder“ eingenommen habe. „Bee-Powder“ heißt übersetzt „Bienen-Pulver“. Was? Die Chinesen pulverisieren ihre Bienen? Welchen Zweck sollte dies erfüllen? Gesundheit oder Schönheit? Mein Hirn ratterte, und ich fragte mich nach der Bienenwirkung. Ein Doktorkollege aus Irland bemerkte mein verwundertes Gesicht. Er übersetzte daraufhin korrekt. Der Arzt hatte nicht Bienen sondern Bohnen gemeint. Gott sei Dank keine Bienen.

Fortsetzung folgt…