Eine kleine Einführung in die Welt der Chinesischen Medizin
Was, bitteschön, ist das für eine Medizin, die auf ein abstraktes Phänomen „Yin und Yang“ aufgebaut ist, und was kann diese überhaupt leisten?
Also:
„Yin und Yang“ ist ein Konzept von zwei gegensätzlichen Prinzipien
Im Westen können wir mit den Worten „Yin“ und „Yang“ erst einmal nichts anfangen, weil wir nicht wissen, was sie in unserer Sprache bedeuten. Nun „Yin“ heißt auf Deutsch „schattig, schattiger Ort, Nordhang eines Berges“, und „Yang“ heißt auf Deutsch „sonnig Anhöhe“. Yin und Yang werden mit Eigenschaften verbunden, wie stark und schwach, gleich und ungleich, männlich und weiblich. Wegen dieser Polarität von Yin und Yang kann somit alles Existierende, alle Erscheinungen und Dinge geordnet und systematisiert werden. Zwischen den beiden Polen Yin und Yang liegen die sichtbare und unsichtbare Welt. Mit Hilfe diesen Denkstils werden komplizierte und komplexe Prozesse des menschlichen Organismus betrachtet und erklärt. Doch nicht nur im Nachhinein, wenn man krank ist, sondern präventiv, was heißt, vorausschauend und die Gesundheit erhaltend.
„Yin und Yang“ sind zwar Gegensätze, und ergeben damit eine Einheit
Yang ist extrovertiert; es symbolisiert das Aufsteigende, sich Ausdehnende, Heiße, Helle, Leichte und Feinstoffliche, Energetische
Yin ist introvertiert, es symbolisiert das Absinkende, sich Zusammenziehende, Kalte, Dunkle, Schwere, Substanzielle und Grobstoffliche.
„Yin und Yang“ setzen als Einheit alles Existierende zueinander in Beziehung Es gibt keine fixe oder dogmatische Etikettierung als Yin oder Yang, sondern alles ist relativ, steht miteinander in Beziehung. Beispiel: Eis ist Yin, da es kälter ist im Vergleich zu Leitungswasser, welches Yang ist, da wärmer als Eis.
„Yin und Yang“ sind in allem enthalten
Wandlung und Austausch zwischen Yin und Yang erschaffen das Leben mit seinen Facetten. Körperliche und geistige Prozesse, die sich erwärmen und beschleunigen, sind Yang, wenn sie erkalten, erstarren oder verklumpen, sind sie Yin.
„Yin und Yang“ sind die Grundlage für alle diagnostischen TCM-Konzepte
So das 5-Wandlungsphasen- bzw. 5-Elemente-Modell mit dem Fütterungs- und Kontrollzyklus, oder das 6-Schichten-Modell, das aus TaiYang, ShaoYang, YangMing, TaiYin, ShaoYin und JueYin besteht, Wen Bing und Shang Han Lun. Bei der Ursachenfindung geht es darum, wo das gesunde Gleichgewicht verlassen worden ist, um daraus folgend Dynamik und Richtung einer Krankheit erfassen und korrigieren zu können.
Körper und Geist bzw. die sieben (es gibt allerdings noch mehr) Emotionen werden als eine interaktive, also, sich gegenseitig bedingende Einheit wahrgenommen und behandelt.
Eine große Stärke der Chinesischen Medizin ist das Aufspüren und Erkennen von tiefliegenden, konstitutionellen Krankheitsmechanismen. Sie nennt sie „Zweige“, womit die unterschiedlichsten Symptome gemeint sind, und „Wurzeln“, womit die Ursache einer Erkrankung gemeint ist.
Bei einer TCM-Anamnese werden die Beschwerden einerseits detailliert analysiert, doch andererseits im Ganzen diagnostiziert. Es geht darum, die auf den ersten Blick scheinbar voneinander unabhängigen Störungen in Beziehung zu setzen.
Der Fokus der Chinesischen Medizin liegt auf dem großen Ganzen. Einzelne Symptome, wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Schlafstörungen, Schwitzen usw. werden als einzelne Phänomene in einem großen System vernetzt. Verglichen werden kann diese Vorgehensweise mit einem Konzert, woraus der Therapeut versucht, vor dem Hintergrund der Lebensumstände des Patienten eine gemeinsame Melodie herauszuhören und diese zu behandeln. Die moderne Medizin bietet phantastische Diagnosemöglichkeiten, wie Labor, Computertomographie oder Röntgen, und dennoch werden Ursachen oftmals und damit leider auch keine passenden Therapien und Medikamente gefunden bzw. angeboten.
Hat ein 3000 Jahre altes Medizinsystem überhaupt eine Berechtigung, geschweige denn Vorteile für uns moderne Menschen?
Ja! Der Reichtum der Chinesischen Medizin ergibt sich aus der inhomogenen, Jahrtausende währenden Erfahrungswelt der Ärzte. Wir können annehmen, dass es nur wenig gibt, was da nicht einmal irgendwie ausprobiert worden wäre entsprechend dem Motto „Trial and Error“.
Im medizinischen Denken und Handeln spiegelt sich der Wandel der menschlichen Gesellschaft. Die Geschichte der Chinesischen Medizin ist ein Weg durch drei Jahrtausende. Die alten Klassiker, zum Beispiel aus der Zeit der „Streitenden Reiche“ sind heute noch aktuell, obwohl sie oft kommentiert und ergänzt worden sind. Bei der historischen Einschätzung spielen auch hier – wie bei Yin und Yang – Relationen und Bezugssysteme eine Rolle. So brachte und bringt das Leben im Norden mit seiner Trockenheit und Kälte andere soziale und gesundheitliche Probleme mit sich, als der Süden mit seiner tropischen, feuchten Hitze. Ein asketisch lebender Buddhist legte seinen Patienten eine andere Lebensführung ans Herz, als dies ein lebenslustiger Daoist tat. Und auch die Leibärzte der Kaiser, die zwar ein hohes Ansehen genossen, sich jedoch in ständiger Lebensgefahr befanden, wenn der Kaiser krank wurde und sie ihn nicht heilen konnten, sammelten ganz andere Erfahrungen als ein ländlicher Wanderarzt, der mit einfachsten Mitteln arme Bauersleute zu kurieren hatte.
Das Ziel der Chinesischen Medizin war der Erhalt der Gesundheit und Langlebigkeit
Den größten Stellenwert hatten Ernährung und Lebensführung inne. Doch wurde und wird heutzutage nicht eine Diät für alle empfohlen, sondern die Ernährung wird auf den individuellen Menschen und seine momentane Situation abgestimmt. So kann es sein, dass Rohkost und Südfrüchte für einen heißblütigen und hitzigen Menschen sogar im Winter auf Dauer geeignet sind. Sicherlich aber nicht für einen, der friert, kalte Extremitäten, Rücken- und Knieschmerzen hat und dann auch noch ständig Durchfall. Zur Lebenspflege gehören auch die körperlich-geistigen Übungen, wie Taiji quan und Qi Gong. Regelmäßig praktiziert, steigern sie das Wohlbefinden und die Lebensqualität.
Die Königsdisziplin: Chinesische Arzneimitteltherapie
Sie genießt im modernen China das höchste Ansehen. Über Jahrtausende hinweg wurden die Kräuter klassifiziert und sie werden heutzutage nach westlichen Kriterien erforscht. Verwendet und im aktiven Gebrauch sind etwa 500 Kräuter. Die meisten sind pflanzlich, einige mineralisch und noch weniger tierisch. Sie werden nach ihrem Geschmack und ihrem Temperaturverhalten nach in bestimmte Kategorien, entsprechend der therapeutischen Wirkung, eingeteilt. Ein vielverwendetes Blutkraut ist „Shao Yao“, die Päonienwurzel, die leicht bitter, kalt und sauer ist. Viele der klassischen, bis zu 2000 Jahre alten Rezepturen werden immer noch verschrieben, bzw. sind Ausgangspunkt für eine individuell, auf die Situation des Patienten abgestimmte Mischung. Zubereitet und eingenommen werden die Kräuter als Tee bzw. Dekokt, als Granulat, Pulver oder Tabletten. Für Kinder und Patienten, die sich mit Teetrinken schwer tun, sind die sog. „hydrophilen Konzentrate“ bestens geeignet, da diese einen relativ neutralen Geschmack haben und nur wenig Tropfen täglich ausreichen.